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Wertschöpfungsketten wandeln sich in Wertschöpfungsnetzwerke

E76: Was braucht der deutsche Mittelstand, um digitaler zu werden? – Rudolf Neumüller (Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum)

Kleine und mittelständische Unternehmen tun sich oft besonders schwer mit der Digitalisierung. Einerseits fehlt das erforderliche Know-how, andererseits geht das Thema im Tagesgeschäft oft unter. Viele Firmen fühlen sich zudem überfordert von der Informationsflut und wissen schlicht nicht, wie der erste Schritt in Richtung Digitalisierung aussehen könnte.

Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hamburg hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, den KMU in Sachen Digitalisierung unter die Arme zu greifen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Industrie 4.0.

Das Kompetenzzentrum ist ein Zusammenschluss mehrerer Hamburger Akteure: An der Spitze steht die Handelskammer. Weitere Projektpartner sind die Technische Universität Hamburg, die Helmut-Schmidt-Universität, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Handwerkskammer Hamburg. Zudem gehört das Kompetenzzentrum zu Mittelstand Digital, einer Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, deren Ziel es ist, die Digitalisierung in KMU und Handwerksbetrieben zu fördern.

In der 76. Episode unseres Podcasts ist der Leiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Rudolf Neumüller zu Gast. Im Interview mit Nils erzählt er, was die größten Herausforderungen in Sachen Digitalisierung für den Mittelstand sind, welche Angebote er für die Unternehmen bereithält, wie der deutsche Mittelstand im internationalen Vergleich aufgestellt ist und welche Themen aktuell besonders relevant sind.

Digitalisierung als „große Welle“

Für Neumüller ist die Digitalisierung „wie eine große Welle“: Sie kann Unternehmen und Institutionen einerseits mittragen, andererseits auch über ihnen zusammenbrechen. Wer sich nicht bewege und wie ein Surfer auf sein Brett springe, um auf der Welle zu reiten, drohe von ihr überrollt zu werden.

Das Außergewöhnliche und bisher Einmalige an der Digitalisierung ist laut Neumüller, dass sie nicht nur einzelne Technologien betrifft, sondern allumfassend wirkt. Die Digitalisierung sei momentan so revolutionär,  weil so viele unterschiedliche Technologien gleichzeitig einen neuen Reifegrad erreicht hätten und sich dadurch ganz neue Synergien entwickeln würden: „Das Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Technologien und Ansätze führt dazu, dass sich die Dinge gegenseitig befeuern und damit nicht nur addieren, sondern potenzieren“, bringt es Neumüller auf den Punkt.

Dieses neuartige Zusammenspiel verschiedenster Teilbereiche erfordere nicht nur eine Menge an Fantasie, sondern auch die Fähigkeit, querzudenken. Der Blick über den Tellerrand der eigenen Fachdisziplin werde immer wichtiger, genauso wie Austausch, Kommunikation und Kooperation.

Der deutsche Mittelstand im Vergleich

Im internationalen Vergleich sind die deutschen KMU in Sachen Digitalisierung laut Neumüller recht gut aufgestellt. Allerdings betont er auch, dass es schwierig ist, tatsächlich eine gemeinsame Schnittmenge zu bilden: Auch wenn die deutschen Unternehmen alles in allem gut dastünden, gebe es doch eine breite Spreizung im Digitalisierungsstand sowie nun der Bereitschaft, Dinge anzugehen und in die digitale Zukunft zu investieren.

Gleichzeitig würden die Herausforderungen der einzelnen Unternehmen mitunter stark variieren. Schließlich stehe nicht jeder deutsche Mittelständler per se im multinationalen Wettbewerb. Und während sich einige Firmen stark über den Preis ihrer Produkte definieren müssten, um konkurrenzfähig zu bleiben, sei es insbesondere bei den Hidden Champions viel wichtiger, sich weiterhin über ihre sehr hohe Qualität von den übrigen Unternehmen abzuheben.

Die Beurteilungskompetenz ist entscheidend

Dennoch ist es für jede Firma wichtig, sich grundsätzlich mit dem Thema Digitalisierung zu befassen. Das heiße nicht, dass man „Hals über Kopf irgendwo reinspringen sollte“. Aber es bedeute, dass man sich „im unternehmerischen Sinne“ mit der digitalen Transformation beschäftigen sollte. Es gehe darum, geeignete Strukturen zu schaffen und Mitarbeiter zu finden, die sich der Sache annehmen und sie kontinuierlich vorantreiben. Und es gehe darum, eine hohe Beurteilungskompetenz zu entwickeln, um zu erkennen, welchen Impact bestimmte Neuerungen auf das eigene Unternehmen und Geschäftsmodell haben und welche Chancen sich für neue Geschäftsmodelle ergeben könnten.

Diese Beurteilungs- und letztlich Digitalisierungskompetenz bei KMU herauszubilden – darin sieht Neumüller eine der Hauptaufgaben des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums. Dafür hält das Kompetenzzentrum ganz unterschiedliche Angebote und Formate parat: von Veranstaltungen und Newslettern über „Best Practice“-Beispiele und Leitfäden mit Checklisten und Schritt-für-Schritt-Anleitungen bis hin zum Unternehmensbesuch. Zudem begleitet das Kompetenzzentrum Firmen immer wieder bei Digitalisierungsprojekten. Anschließend werden die einzelnen Steps und die wichtigsten Lektionen und Erkenntnisse mit den anderen Mittelständlern geteilt.

Die Krise als Chance

Gefragt nach den größten Herausforderungen, ist Neumüller deutlich: Die Corona-Krise mit all ihren Begleiterscheinungen ist aktuell das wichtigste Thema – und wird es wohl auch noch eine ganze Weile bleiben. Dabei seien vor allem die Aspekte „Arbeitsfähigkeit erhalten“ und „Remote Work“ von Bedeutung, aber natürlich auch die Frage, wie Geschäftsmodelle, die auf Vor-Ort-Präsenz ausgerichtet sind, digital funktionieren können.

Grundsätzlich hat die Krise für Neumüller durchaus auch ihre guten Seiten. Denn sie habe vielen Unternehmen den nötigen Push gegeben, um endlich den Schritt in Richtung Digitalisierung zu gehen. Mittel- und langfristig könne das dazu führen, dass Firmen bei erneuten Krisen deutlich resilienter und robuster gegen äußere Störungen sein werden.

Links aus dem Interview

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