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Wie wird die Welt von Morgen aussehen? Welche Themen werden künftig relevant sein? Und was bedeutet das für Unternehmenslenker und Entscheidungsträger aus der Wirtschaft heute? Womit müssen sie sich jetzt auseinandersetzen, um für die Zukunft gewappnet zu sein?
Diesen Fragen geht das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) nach. Kernziel des unabhängigen Forschungsinstituts ist es, globale Trends und deren regionale Auswirkungen auf den norddeutschen Raum zu analysieren, um anschließend Handlungsempfehlungen aussprechen zu können.
Im Interview mit Nils spricht der Direktor des HWWI, Prof. Dr. Henning Vöpel, über die großen Herausforderungen der Digitalisierung für deutsche Unternehmer und erklärt, warum die digitale Transformation von vielen noch immer so stark unterschätzt wird.
Umbrüche verstehbar machen
Seit der Gründung im Jahr 1908 ist die Aufgabe des HWWI, die Umbrüche der Welt und der Weltwirtschaft für Unternehmer verstehbar zu machen. Als Megathema ist die Digitalisierung darum so wichtig, weil sie „alles auf links dreht und keinen Stein auf dem anderen lässt“, wie es Vöpel formuliert.
Um die Auswirkungen der digitalen Transformation jedoch in all ihren Facetten verstehen zu können, braucht es nicht nur Ökonomen. Hier sind Interdisziplinarität und Perspektivenvielfalt gefragt. Neben dem technischen Know-how, das beispielsweise zum Verstehen von Algorithmen notwendig ist, werden unter anderem die Erkenntnisse aus Neurowissenschaften und Sozialwissenschaften gebraucht. Denn nur so können die hochkomplexen Veränderungen, die die Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet, erkannt und verstanden werden.
Zudem ist es dem HWWI wichtig, seine Forschungsergebnisse kostenfrei zugänglich zu machen und so den Diskurs anstoßen zu können: Die Gesellschaft im Allgemeinen und die Unternehmer im Speziellen müssen wissen, was gerade in Wissenschaft, Forschung und Technologie passiert. Davon ist Vöpel überzeugt. Denn diese Dinge hätten sehr schnell eine sehr große Wirkung auf Gesellschaft und Wirtschaft.
Die ultimative Vernetzung von allem mit allem
Auf die Frage hin, was „Digitalisierung“ für ihn bedeutet, erklärt Vöpel, dass der Begriff eine Komplexität aufweise, die kein Mensch mehr verstehen könne. Deshalb ist ihm wichtig, nach dem Auslöser der digitalen Transformation zu fragen. Und das ist laut Vöpel die Tatsache, dass wir seit einigen Jahren in der Lage sind, „massenhaft Daten zu erzeugen und in Echtzeit miteinander auszutauschen.“
Als Folge dieses enormen technologischen Sprungs würde sich die gesamte Art der Kommunikation ändern: „Wir können Menschen miteinander vernetzen. Wir können aber auch Menschen und Maschinen miteinander vernetzen. Wir können plötzlich mit Autos kommunizieren. Wir können mit Gebäuden kommunizieren. Maschinen untereinander können kommunizieren.“ So gesehen sei Digitalisierung „die ultimative Vernetzung von allem mit allem“.
Dieser fundamentale Wandel der Kommunikation wirke sich auch auf die menschlichen Beziehungen aus. Denn mit der Kommunikation würden sich unsere Prozesse verändern, die Medien und schließlich die gesamte Kultur: „Alles ist davon betroffen“, fasst Vöpel zusammen und stellt die heutigen Veränderungen auf eine Ebene mit der Entdeckung des Feuers vor 700.000 Jahren.
Inmitten der Übergangsphase
Spannend daran sei, dass sich die Digitalisierung bisher nur relativ schwach auf die Produktivität ausgewirkt habe: Zwar haben wir laut Vöpel einen großen technologischen Fortschritt erzielt. Dieser bringe bislang jedoch nur geringe Produktivitätsgewinne mit sich. Vöpel begründet das damit, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden: „Wenn wir neue Technologien einführen“, so der Wissenschaftler, „bauen wir auch alte Kapazitäten zurück.“ Das wiederum vermindere die Produktivität zunächst einmal.
Allerdings handele es sich dabei um einen notwendigen Prozess: „Damit Transformation gelingen kann, müssen wir auf temporäres Wachstum verzichten.“ Schon bald würden wir aber von enormen Produktivitätsgewinnen und Effizienzsteigerungen profitieren können. Man müsse sich nur anschauen, was etwa im „Life Sience“-Bereich oder in Sachen Mobilität schon heute möglich sei.
Wie ein Tsunami
Problematisch an der Digitalisierung ist Vöpel zufolge, dass sie wenig fassbar ist: „Es ist eine unsichtbare Revolution. Man schmeckt es nicht. Man riecht es nicht. Es ist nicht materiell. Es ist nicht wirklich greifbar und deshalb ist es für viele extrem abstrakt.“ Das heiße allerdings keinesfalls, dass die digitale Transformation die Welt nicht trotzdem auf den Kopf stellen werde: „Sie steht vor der Tür. Nur man sieht sie nicht und man sieht sie nicht kommen.“
Die Umwälzungen der Digitalisierung würden deshalb an einen Tsunami erinnern, der sich weit hinten am Horizont aufbaue und dann immer schneller werde. „Und plötzlich“, so Vöpel, „ist man unvorbereitet auf etwas, das man eigentlich gesehen, aber unterschätzt hat.“ Zwar stünden wir gerade noch am Anfang der Digitalisierung, aber: „Die Geschwindigkeit nimmt zu.“
Die bisherigen „Verlierer“ auf dem Vormarsch
Gerade in Europa laufen wir Gefahr, bald von den technologischen Neuerungen überrollt zu werden. Andere Länder, und zwar gerade Entwicklungsländer, nutzen die neuen Möglichkeiten oft viel stärker und bereitwilliger. Als Beispiel hierfür nennt Vöpel Ruanda: Dort werden Krankenhäuser neuerdings nicht mehr nur über die herkömmliche Infrastruktur mit Medikamenten versorgt, sondern über Drohnen. Für Ruanda bedeutet diese Maßnahme einen enormen Fortschritt. Die Gesundheitsversorgung konnte so im Nu auf ein ganz neues Niveau gehoben werden.
Würde eine solche Maßnahme in Deutschland vorgeschlagen, so würden sich laut Vöpel sofort zahlreiche Berufsgruppen und Interessenvertreter dagegen aussprechen und auf die Nachteile und Gefahren hinweisen. Zudem sei die Belieferung der Krankenhäuser durch Drohnen auch nur geringfügig effizienter als die bisherigen infrastrukturellen Möglichkeiten.
Insbesondere der letztgenannte Aspekt erklärt, warum Länder, die gerade wenig zu verteidigen
haben, die Digitalisierung als Chance sehen, während Länder wie Deutschland, die viel zu verlieren haben, die Neuerungen als Bedrohung wahrnehmen. Folglich ist es laut Vöpel nicht verwunderlich, dass einige Länder in Sachen Digitalisierung besonders schnell sind und andere besonders langsam.
Die drei großen Fragen
Um in Europa nicht den Anschluss zu verlieren, müssen wir uns einige zentrale Fragen stellen. Allen voran die Frage danach, welche Daten wir als Gesellschaft zu welchem Zweck nutzen wollen: Wie wollen wir Algorithmen und künstliche Intelligenz einsetzen, um Gesellschaft und Wirtschaft zu organisieren? Als Unternehmenslenker wiederum müsse man vor allem drei große Basisfragen für sich beantworten. Erstens: Welche Daseinsberechtigung hat das, was ich tue, morgen noch? Zweitens: Wie kann ich Daten nutzen, um in der Produktion, im Vertrieb und in der Kundenkommunikation zusätzliche Informationen zu erhalten und Prozesse zu verändern? Und drittens: Welche Partner und Kooperationen sind notwendig, um digitale Wertschöpfung zu erzeugen?
Viel Spaß beim Zuhören!